«Der grundlegende Zweck von Schulen ist sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler lernen, und nicht nur, dass alle unterrichtet werden.»

Das Buch «Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen» von John Hattie ist seit einigen Jahren ein treuer Begleiter in meinem beruflichen Alltag. Nicht, dass dieses Buch eine Art Bibel oder goldener Leitfaden für mich wäre, halt mehr so eine Art sporadische Rückversicherung, die ich grundsätzlich nur in kleinen, verdaubaren Häppchen konsumiere. Hatties Ausführungen finde ich persönlich eine deftige, sprich anspruchsvolle Kost, die ich anfänglich nur bedingt mit meiner praktischen Tätigkeit als Lehrperson in Verbindung bringen konnte. Doch, je mehr ich in diesem Buch mäanderte, umso deutlicher konnte ich wichtige Erkenntnisse für mein Schaffen herausarbeiten. Aktuell setzte ich mich – zum wiederholten Male - mit dem 4. Kapitel «Planung der Unterrichtsstunde» auseinander und möchte im folgenden Blogpost meine wichtigsten Einsichten und Erkenntnisse für meine Schulleitertätigkeit darlegen. 

Am Anfang steht das Ende

Der Start in ein neues Lernunterfangen ist gewissermassen gleich mit zwei Enden konfrontiert. Einerseits muss die Lehrperson über das bisherige «Wissensende», sprich das individuelle Vorwissen der Lernenden Bescheid wissen, anderseits gilt es Klarheit (für Lernende und Lehrperson) bezüglich der neuen Zielsetzung (Lernintention) zu schaffen. Ergänzend zum Vorwissen der Lernenden, weiss die Lehrperson auch, wie die Lernenden denken (wichtige Anhaltspunkte sind dabei Piagets Entwicklungsphasen: sensomotorische, präoperationale, konkret-operationale, und formal-operationale Phase). 

Orientierung an Erfolgskriterien und Lernfortschritten

Die neue(n) Lernintention(en) müssen sich die Lernenden «aneignen» können (Selbstverpflichtung). Es reicht nicht, die Ziele einfach nur auf ein Arbeitsblatt zu schreiben oder der Klasse vorzulesen. Die Lernenden müssen wissen und verstehen, wie der Erfolg aussieht, wie er sich zeigt und anfühlt (Erfolgskriterien = Ich kann…). Die neue Lernintention hat dabei für jeden Lernenden einen herausfordernden, und nicht einen über- oder unterfordernden Charakter. Die Herausforderung ist dann gegeben, wenn die Lernenden hinsichtlich der Zielsetzung bereits Strategien, Pläne und eine entsprechende Selbstmotivation aufbauen können. 

Während des ganzen Lernprozesses schafft die Lehrperson immer wieder Bezüge zu den Erfolgskriterien und thematisiert sie aktiv mit den Lernenden. Die Lehrperson übernimmt hinsichtlich der Zielerreichung zwei grundlegende Aufgaben: Sie schafft Interventionen, damit die Lernenden das nächsthöhere Denkniveau erreichen und sie initiiert diese in kollaborativer und dialogischer Weise, zusammen mit den Lernenden. Dabei werden Fehler dankend begrüsst und die Lernenden erhalten immer wieder die Gelegenheit, sich an der Vorhersage ihrer eigenen Leistung zu beteiligen (Selbsteinschätzung). Das Selbstvertrauen der Lernenden wächst an den eigenen Erfolgen, durch das Feedback der Lehrperson, durch die Lernaufgaben selbst (Scaffolding) und durch die Interaktion mit den Mitlernenden (Peers). Dem eigenständigen Üben lässt Hattie eine entscheidende Bedeutung innerhalb des Lernprozesses zukommen. 

"Lehrpersonen müssen wissen, wie Lernfortschritt aussieht."

Der Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses für Lernfortschritte und Erfolgskriterien innerhalb einer Schule, ist für Hattie «die» zentrale Herausforderung und «der» Schlüssel zum Erfolg: Die Lehrpersonen schaffen gemeinsam Klärung hinsichtlich der notwendigen und systematischen Lerninterventionen, beobachten die Lernprozesse gemeinsam und begutachten die Lernergebnisse/ Lernspuren anhand von gemeinsam erarbeiteten Erfolgskriterien. 

Was bedeutet dies in der praktischen Umsetzung an der Schule Zeihen:

  • Gemeinsam erarbeiten wir stufenübergreifende Lernsettings/ Lernarrangements. Bereits umgesetzt haben wir die Leseförderung (Lautlesetraining/ Leseverständnistraining) und den Fachbereich Mathematik (Lernlandschaften: Zahlenmeer, Formenland, Grösseninsel). Anhand der gemeinsam erarbeiteten Lernaufgaben und Übungsmaterialien schärft sich ein gemeinsames Verständnis von Erfolgskriterien und Lernfortschritten. Exemplarisch sichtbar wird dies bei unseren «Erarbeitungsaufgaben» (16 bis 17 Kernaufgaben/ Kernphänomene) in der Mathematik. Die eigens entwickelten «Erarbeitungsaufgaben» haben wir jeweils in 4 Kompetenzniveaus gegliedert (Einsteiger, Fortgeschritten, Könner, Profi). Das jeweilige Phänomen/ der jeweilige Kern einer Aufgabe bleibt gleich, gewinnt jedoch an Komplexität (siehe untenstehendes Beispiel Erarbeitungsaufgabe «Schätzen und messen mit meinem Körper»). Die Erarbeitungsaufgaben liefern zudem «Gerüste» (Scaffolding) - in Form von Arbeitsschritten, Darstellungs- und Dokumentationsweisen, Umsetzungsbeispielen, usw. -  für deren Umsetzung/ Bearbeitung durch die Lernenden. Die Lernenden haben die Gelegenheit, Jahr für Jahr an den «Erarbeitungsaufgaben» zu wachsen. Durch die intensive Entwicklungsarbeit der "Erarbeitungsaufgaben" im Team haben die Lehrpersonen ein gemeinsames Verständnis für den Kompetenzaufbau gewonnen. Die Mittelstufenlehrpersonen wissen nun, wie beispielsweise der Zahlenraum im Zyklus 1 behandelt wird und die Kindergartenlehrpersonen sind sich im Klaren darüber, wie sich die "Lernreise" weiterentwickelt.
  • Die Arbeit im Team wird je länger, je mehr zur grundlegenden Arbeitsweise an unserer Schule. Mit der Einführung von dreistufigen Klassen (1.-3. Klasse und 4.-6. Klasse) werden wir im kommenden Schuljahr zum ersten Mal Parallelklassen führen, die sich mehr und mehr als Stufenteams/ -familien begreifen werden. Dementsprechend werden auch Lernlandschaften umgesetzt. Die Fremdsprachen (Englisch, Französisch) werden in die Klassen integriert. Fremdsprachenlehrpersonen und Klassenlehrerinnen werden so eng miteinander zusammenarbeiten. Auch die Sitzungsstrukturen wurde angepasst: Quartalsweise findet noch eine organisatorische/ administrative Sitzung statt. Die restlichen Sitzungsressourcen werden für zentrale Schul- und Unterrichtsentwicklungsschwerpunkte verwendet. Im laufenden Schuljahr sind dies: Draussenschule, kompetenzorientierter Unterricht (als Vorbereitung auf die 3-stufigen Klassen) und Integrative Heilpädagogik. Jeder dieser Schwerpunkte ist mit 4 bis 5 Sitzungsterminen über das Schuljahr ausgestattet. Ergänzt werden diese Sitzungsgefässe durch schulinterne Weiterbildungen. 
  • Die Kompetenzbereiche Lesen, Schreiben und Mathematik sollen Schritt für Schritt in vorbereitete Spiel- und Lernumgebungen überführt werden, damit die Lernenden mehr und mehr in ihrem eigenen Lerntempo und gemäss ihren individuellen Ausgangspunkten (Vorwissen) arbeiten können. So möchten wir den unterschiedlichen Lerntempi, Denkweisen/ -strategien und den individuellen Ausgangspunkten (Vorwissen, Lernstand) gerecht werden. 
  • Die Suche nach praktikablen Formen und Methoden bezüglich effektiver Lernberatung/ -begleitung ist sicherlich noch zu forcieren. Die AdL-Unterrichtsbausteine (Kurs, Plan) sind dabei für uns wichtige Anknüpfungspunkte. 
  • Die formative Beurteilungsarbeit (Begutachtung von Lernfortschritten im Sinne der Förderorientierung) nimmt mehr und mehr Platz im Schulalltag ein. Auch hier führt die Auseinandersetzung über das Team. 

Beispiel: Erarbeitungsaufgabe "Schätzen und messen mit meinem Körper"

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