Die Planarbeit – egal, ob man sie nun Wochen- oder Arbeitsplan nennt – ist im Schulkontext weit verbreitet. Auch in meinem Unterricht, der sich meist in altersdurchmischten Klassen abspielte, stellte sie einen wichtigen Unterrichtsbaustein dar. Die Entwicklung einer sinnvollen, nachhaltigen und leistbaren Planarbeit - für die Lernenden, aber auch für die Lehrperson - war für mich persönlich ein langer und steiniger Weg. Auch heute bin ich in Sache Planarbeit noch immer ein Reisender und kein Angekommener.
Meine ersten Planarbeiten vor über 10 Jahren waren ausufernde, tabellarische Checklisten, die mehr einem Inventar von Arbeitsblättern und Heftseiten glichen, als einer spannenden Ausgangslage für selbstständiges Lernen. Für die Lernenden mussten sich diese Pläne auch dementsprechend angefühlt haben: Mit gespitzter Bleistift-Machete, wild um sich schlagend, gegen den erdrückenden Papierdschungel. Keine Auswahlmöglichkeiten, keine Selbstbestimmung – einzige Prämisse: Fertigmachen! An all die Küchentisch-Dramen vor den jeweiligen Abgabeterminen, die meine damaligen Schüler*innen erdulden mussten, möchte ich erst gar nicht denken.
Über die Jahre - und dank wertvoller Hospitationen und Weiterbildungen - haben sich meine Planarbeiten gewandelt: Aus «Fertigmachplänen» entwickelten sich differenzierte Lernangebote, die nebst Lernaufgaben zum Automatisieren und Üben, auch offene Formate zur Vertiefung, zur Problemlösefähigkeit und zur Transferleistung enthielten. Aus Checklisten wurden Wahlangebote, aus Arbeitsblättern Schülerprodukte. Die Planarbeit war nun gekoppelt mit «Kursen» (Vermittlungs- und Erklärangebote) und ritualisierten Lernberatungen. Doch ein gewisser «Ich-drohe-erschlagen-zu-werden-Effekt» blieb – nur war dieser nicht mehr bei den Lernenden angesiedelt, sondern bei mir, der Lehrperson: Jedes zweite Wochenende versank ich in ein stundenlanges Kommentare-Schreiben, Schülerprodukte-Begutachten und Korrigieren. Meine sorgfältig erarbeiteten Rückmeldungen interessierten die Lernenden nur noch am Rande – sie hinkten hinterher, waren Schnee von gestern.
Im Rahmen dieses Blogposts möchte ich das Planarbeitskonzept der 5./6. Klasse der Schule Zeihen näher vorstellen, das zumindest den Ansatz einer Antwort auf diese Problematik gibt. Der Kopf hinter diesem Konzept ist Gabriela Beyeler (Lehrperson 5./6. Klasse, Schule Zeihen). Dazu später aber mehr. Ich möchte mich zuerst dem Grundwesen der Planarbeit zuwenden.
«Übungsfeld» für das selbstständige Lernen
Die Planarbeit verfolgt grundsätzlich zwei zentrale Anliegen (vgl. Achermann/ Gehrig 2011: 100): Da ist einerseits die Arbeit an spezifischen Sachkompetenzen (Wissen und Können) im Rahmen von persönlichen Zielsetzungen, welche dem individuellen Leistungs- und Entwicklungsstand entsprechen. Anderseits ist die Planarbeit ein Übungsfeld für das selbstständige Lernen. Zentral finde ich den Begriff «Übungsfeld». Üben bedeutet, dass man sich versuchen darf: scheitern, experimentieren, ausprobieren, sich irren, suchen, überfordern und justieren – all das darf und muss Platz haben. Selbstständiges Lernen kann also nicht vorausgesetzt werden, sondern braucht Raum und Zeit, um sich entfalten zu können. In diesem Sinne gibt es nicht «das» richtige Planarbeitssystem, sondern eine sorgfältige und nachhaltige organisatorische, soziale, methodische und letztendlich auch inhaltliche Öffnung der Planarbeit (vgl. Achermann/ Gehrig 2011: 103). Lernende können also nicht «nicht fähig» oder «nicht bereit» für die Planarbeit sein – sie müssen es Schritt für Schritt üben dürfen. In diesem Sinne gilt es konkrete Erfolgskriterien zu klären (vgl. «Der grundlegende Zweck von Schulen ist sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler lernen, und nicht nur, dass alle unterrichtet werden.»): Wie zeigt sich die Kompetenzentwicklung beim selbstständigen Lernen im Rahmen der Planarbeit? Erfolgskriterien könnten beispielsweise folgendermassen ausformuliert werden:
«Einsteiger» (Zyklus 2)
- Zielstrebigkeit und Zuverlässigkeit: Ich kann mir eine konkrete Arbeit pro Tag vornehmen und kommuniziere diese der Lehrperson. Angefangene Arbeiten mache ich fertig, bevor ich mit einer neuen Arbeit starte. Ich hole mir von der Lehrperson das «Okay», dass ich die Arbeit erledigt habe und zur nächsten wechseln darf. Ich spreche mit der Lehrperson ab, welche Arbeiten sinnvoll für mich sind.
- Ordnung halten: Ich weiss, wo ich meine angefangenen Aufträge ablege.
- Arbeitsplatz einrichten: Ich bespreche mit der Lehrperson passende Arbeitsplätze für die jeweilige Arbeit.
- Unterstützung und Hilfestellung: Ich melde mich bei der Lehrperson, wenn ich nicht mehr weiterkomme oder Hilfe brauche.
«Fortgeschritten» (Zyklus 2)
- Zielstrebigkeit, Zuverlässigkeit, Reflexionsfähigkeit: Ich kann mir die Planarbeiten über mehrere Tage selbstständig einteilen. Mir gelingt es, bereits zwei bis drei Aufträge parallel zu bearbeiten und dabei die Übersicht zu behalten. Ich weiss selber, wann eine Planarbeit erledigt und bereinigt ist. Ich wähle meine Planarbeiten weitgehend selbstständig aus (Wahlangebote).
- Ordnung halten: Ich organisieren meine Arbeits- und Lernunterlagen eigenverantwortlich.
- Arbeitsplatz einrichten/ Sozialform wählen: Ich finde selber passende Arbeitsplätze und nutze meine Arbeitszeit effizient. Ich weiss, ob ich die Arbeit am besten alleine oder mit anderen erledige.
- Unterstützung und Hilfestellung: Ich kann mir je nach Problem oder Hilfestellung geeignete Unterstützung holen (Mitlernende, Lehrperson). Kann ich das Problem nicht auf Anhieb klären, arbeite ich an einem anderen Auftrag weiter.
«Könner» (Zyklus 2)
- Lerntechniken/ Gelerntes anwenden: Ich arbeite im Rahmen der Planarbeit an einer persönlichen Projektarbeit. Meine Planarbeiten und Lernfortschritte dokumentiere ich selbstständig: z.B. mit Lernprodukten, Lernvideos, Lernberichten, Präsentationen, usw.
- Reflexionsfähigkeit, Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen: Ich kommuniziere der Lehrperson, welche Planarbeiten für mich Sinn machen und auf welche ich bewusst verzichte.
- Sich selber Ziele setzen: Anhand meiner persönlichen Ziele formuliere ich auch eigene Lernaktivitäten und organisiere entsprechende Lernunterlagen selbstständig.
- Unterstützung und Hilfestellung: Ich kann mir je nach Problem oder Herausforderung geeignete Unterstützung holen (Mitlernende, Lehrperson, Internet, ausserschulische Ansprechpartner).
Solche Erfolgskriterien sind wichtig, um dem Übungsfeld «selbstständiges Lernen» auch die nötige Legitimation zu geben. Gerade anhand solcher Kriterien kann man die Fortschritte im Bereich des selbstständigen Lernens sichtbar machen, auch wenn eine spezifische Sachkompetenz in einem lehrpersonenzentrierten Unterrichtssetting vielleicht auf direkterem Wege hätte erarbeitet werden können. Die Planarbeit fokussiert die Entwicklung der überfachlichen Kompetenzen, also gilt es diese auch ins Scheinwerferlicht zu stellen.
Lernen im eigenen Tempo
Eine qualitative Planarbeit ist ein komplexes Unterfangen: Sie benötigt relevante und in sich differenzierende Lernaufträge, sie fordert von der Lehrperson eine hohe Kompetenz im Bereich der Lernberatung und Lernbegleitung, sie baut auf institutionalisierte Abläufe und Prozesse (Zeitgefässe, Unterstützung und Hilfestellungen, Organisation der Lernberatung, Regeln, usw.), sie schafft wichtige Voraussetzungen in der Raumorganisation (unterschiedliche Arbeitsplätze, Organisation Lern- und Arbeitsmaterialien) und sie setzt auf durchdachte Feedbackinstrumente (Selbstkorrektur, Peerfeedback, usw.). Dieser Anforderungskatalog kann durchaus «erschlagend» wirken. Ein guter Einstieg und Ausgangspunkt in die Planarbeit ist der Faktor «Zeit». Ermöglicht die Planarbeit das Lernen im eigenen Tempo, ist schon ein erster wichtiger und fundamentaler Schritt getan: «Man wird sich vielleicht eher auf sie einlassen, wenn man darunter zunächst nur versteht: jedem Kind die ihm angemessene Zeit lassen; nicht auf Gleichschritt drängen; manchmal Jahre warten müssen, bis es die andern einholt.» (Friedli Deuter 2014: 122f).
Planarbeit an der Schule Zeihen – ein Beispiel aus der 5./6. Klasse
An der Schule Zeihen wird die Planarbeit in Form und Ausprägung noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Aktuell tauschen wir uns hinsichtlich einer gemeinsamen Anspruchshaltung und organisatorischer Eckwerte aus. Die oben genannten Erfolgskriterien werden nun stufenspezifisch ausformuliert. Die gegenwärtige Planarbeit von Gabriela Beyeler an der 5./6. Klasse ist das Ergebnis eines längeren Entwicklungsprozesses und hat sich in den letzten Jahren in ihrem Unterricht etabliert und bewährt.
Bereits wenn die Lernenden das Klassenzimmer betreten, beginnt ein allmorgendliches Ritual: Eine kurze Startcheckliste führt durch die ersten Tätigkeiten: Hände waschen, Tagesprogramm und Agenda studieren, Hausaufgabenmappe leeren, Hängeregister «Besprechung» konsultieren, Ämtli erledigen, Arbeitsmaterialien kontrollieren… Still und konzentriert wird dieses Programm «abgespult».
An der Wandtafel tauchen die Lernenden schliesslich in die eigentliche Planarbeit ein. Die einzelnen Arbeitsaufträge sind in einem Raster plakatiert. Es gibt nur diese eine grosse Übersichttafel - keine Laufblätter für die Lernenden. Mit Hilfe von Signaturen wissen die Lernenden sofort, wie und wo sie sich auf dieser Übersicht zu orientieren haben. Ein Kreuz-Magnet markiert den Startauftrag (oft ist es die ToDo-Box mit den angefangenen Arbeiten). Die Pflichtaufträge sind mit einem roten Magneten versehen. Gewisse Aufträge sind auch noch gesperrt (grosser oranger Papierkreis auf dem Auftrag), da noch ein wichtiger Input oder «Kurs» folgt. Dann gibt es Aufträge mit einem Schildchen «heute abgeben». Die Lernenden platzieren das magnetische Namensschild bei ihrer aktuellen Tätigkeit – so hat die ganze Klasse die Übersicht, wer an was arbeitet. Die Planarbeitsaufträge wechseln fortlaufend und dynamisch. Während einige Aufträge mit der Deadline «heute abgeben» versehen sind, kommen neue hinzu. Einige Aufträge sind Langzeitprojekte, andere sind manchmal nur für wenige Tage «in Betrieb».
Die Planarbeit ist gekoppelt mit zwei Hängeregistern. Im ToDo-Register werden die «work-in-progress»-Arbeiten abgelegt. Im Besprechungsregister hinterlegt die Lehrperson Arbeiten, Notizen und Kommentare, die sie mit der/ dem Lernenden besprechen möchte. Stossen die Lernenden in ihrem Register auf eine solche «Botschaft», melden sie sich bei der Lehrperson. Das Meldesystem funktioniert mit einer Wäscheklammer (versehen mit dem Namen der/ des Lernenden) an einer Stange. Fragen, Unklarheiten und Besprechungs-Aufforderungen können so deponiert werden. Die Lehrperson arbeitet sich von Wäscheklammer zu Wäscheklammer, sprich von Schüler*in zu Schüler*in durch. Die Lernberatung und –begleitung kann so von beiden Seiten – Schüler*in und Lehrperson – eingefordert werden.
Die Kontrolle der einzelnen Aufträge gestaltet sich sehr unterschiedlich (Selbstkorrektur, Abgabe, Präsentation, usw.). Grundsätzlich definiert der Auftrag immer auch die erwartete Dokumentations-, bzw. Abschlussform. Gabriela Beyeler investiert zudem viel Zeit und Energie in die Reflexionsarbeit: Die Lernenden führen ein Lernjournal, regelmässig werden Gruppenreflexionen abgehalten und die Lernenden schätzen ihre überfachlichen Kompetenzen anhand eines Kompetenzrasters ein. Die Lehrperson führt zu den einzelnen Arbeitsaufträgen Schülerlisten, um die Übersicht zu behalten.
Eine Planarbeits-Sequenz wird jeweils mit einer Schlusscheckliste abgeschlossen: persönliches Material versorgen, Hausaufgabenmappe packen, Ämtli erledigen, einander helfen.
Beispiel von möglichen Aufträgen für die Planarbeit (Zyklus 2)
- Üben und Automatisieren: Wichtig dabei ist ein unmittelbares Feedback (z.B. Selbstkorrektur, Peerfeedback, usw.). Beispiele: Blitzkarten, Lernprogramme und –plattformen (Mindsteps, Profaxonline, usw.), …
- «Satz der Woche»: Regelmässig gibt es einen neuen Satz (z.B. «Frau Müller findet im Container ein nigelnagelneues Fahrrad.»). Anhand dieses Satzes gilt es nun ritualisierte Aufträge zu erledigen: z.B. Wortarten bestimmen, den Satz in die verschiedenen Zeitformen setzen, die Verschiebe-, Erweiterungs- und Ersatzprobe anwenden, daraus eine Geschichte entwickeln, usw.)
- «Schreibwerkstatt»: z.B. Geschichten auf Reisen (siehe Lehrmittel «Sprachstarken»); usw.
- Blog oder Lerntagebuch: für eigene Lernreflexion
- Aufträge aus vorbereiteten Lernumgebungen: z.B. Lösen einer Erarbeitungsaufgabe aus dem «Zahlenmeer»; ritualisiertes Lesetraining anhand eines ausgewählten Lesetextes; usw.
- Lernvideo/ Erklärvideo: z.B. die schriftliche Multiplikation oder das Runden erklären; einen Lernfilm zum aktuellen NMG-Thema erarbeiten, usw.
- «Einmalige Jobs»: z.B. Exkursionsbericht für das Gemeindeblatt; Schild mit den Klassenregeln; usw.
- «Meine Bausteine»: z.B. eigene Projekte; eigene Lernarrangements zu persönlichen Zielen entwickeln; usw.
- Lernlandkarte/ Lernplakate gestalten: z.B. zum aktuellen NMG-Thema; zum Mathethema; usw.
- Gestaltungsaufträge: einen Auftrag aus den Fachbereichen TTG und/ oder bildnerisches Gestalten
- Fremdsprachen: je einen Auftrag aus dem Englisch- und Französischunterricht
- Sport: Übungs-/ Trainingsaktivitäten (z.B. Rope Skipping, Tanz, Leitathletik, Parcours...)
- …
Ein grosses Dankeschön an das Team Zeihen und Karin Maienfisch (Schulcoach, PH FHNW - Institut Weiterbildung und Beratung) für das konstruktive Mitdenken!